Dieses Semester hatte ich die Ehre als Tutor für die Mathematik 2 Vorlesung am Hasso-Plattner-Institut, Potsdam zu arbeiten. Dabei habe ich einiges gelehnt und drüber möchte ich nun reflektieren.

Das war mein erster richtiger Kontakt mit einer solchen Aufgabe. Zu Schulzeiten habe ich eine Zeit lang Mathe und Englisch Nachhilfe gegeben, das aber nie sehr ernsthaft betrieben.

Nun sah ich mich also vor der Aufgabe, rund 25 Studierenden durch eine recht anspruchsvolle Veranstaltung zu helfen. Dabei war ich natürlich nicht alleine. Die Vorlesung würde von Dr. Timo Kötzing und Vanja Doskoč betreut und ich möchte mich bei ihm und bei meinen Kolleg:innen für all das bedanken, dass ich gelernt habe.

Das Digitalsemester

Natürlich war das Sommersemester 2020 nicht wie jedes andere. Wie alles auf der Welt war es vom Corona-Virus geprägt. Die Uni musste innerhalb kürzester Zeit in den Online-Modus wechseln. Das betraf natürlich auch meine Tutorien.

Nähe

Schnell habe ich eins gemerkt: Studis schalten super ungern ihre Webcams an. Manchmal fühlt es sich an, als spricht man mit der unendlichen Leere des Internets. Dabei ist es in einem Semester ohne physische Nähe um so schwerer das Gefühl zu vermitteln, das der:ie einzeln:e Studiernde:r zählt.

Dazu kommt, dass einem auf einmal die sofortige Rückmeldung fehlt. Bin ich zu schnell? Habe ich etwas schlecht erklärt? Wenn man Gesichter vor sich sieht, dann weiß man das sofort, in einem Gruppen-Call ohne oder mit nur wenig Videos fehlt einem das. Am Ende schadet das dann aber vor allem den Teilnehmer:innen, die ein schlechteres Tutorium geboten bekommen.

Tools

Nun etwas technischer. Das wichtigste Werkzeug, dass ich benutzt habe, ist wohl die Videokonferenzsoftware. Dabei habe ich mich für BigBlueButton entschieden. Die großen Vorteile sind dabei, dass diese Lösung speziell für das Unterrichten zugeschnitten ist und Open-Source und selbstgehostet ist. Das heißt die Daten bleiben beim Betreiber der Software. Bei uns war das erst der Fachschaftsrat der TU Dortmund und dann unser Institut selber. Diesen beiden Organisationen vertraue ich deutlich mehr als gewinnorientierten, amerikanischen Unternehmen, die über ihre Verschlüsselung lügen.

Weiter unten werde ich über das Zeichnen sprechen. Mathematik ist ohne Tafel oder Whiteboard sehr schwer zu realisieren, selbst wenn man nicht zeichnet. Es muss also ein digiatles Analogon her. Dafür habe die ausgezeichnete Software Xournal++ verwendet. Dies ist ein Programm für handschriftliche Notizen, das sich nach eigener Beschreibung auf Flexibilität, Funktionalität und Geschwindigkeit konzentriert. Besonders bei letzterem sticht es aus der Konkurrenz hervor. Auf Linux kriegt man kaum wo anders so ein flüssiges Erlebnis.

Ich war nun außerdem in der Situation für jede Woche einen Foliensatz vorzubereiten. Dieser war nicht kompliziert und hatte immer die gleiche Struktur und viele feste Inhalte. Im wesentlichen bestand er aus einem Ablaufplan des Tutoriums und den Aufgaben. Wäre das Tutorium in persona hätte ich nicht auf so ein schwergewichtiges Werkzeug zurück gegriffen, da es einem die Spontaneität nimmt und auch die entspannte Atmosphäre einschränkt. Ohne den persönlichen Kontakt glaube ich aber, dass etwas sichtbares auf dem Bildschirm helfen kann, die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten und den:die Teilnehmer:in durch das Tutorium zu führen.

Wie erstelle ich nun in kurzer Zeit gut aussehende Folien und wie mache ich mir die Ähnlichkeit zu nutze? Für mich hieß die Antwort ganz klar Orgmode. Dabei handelt es sich um ein Softwarepaket für den Emacs Text-Editor, das einem unter anderem die Textverarbeitung ermöglicht. Ich schreibe gerade diesen Blogpost in org. Org hat eine großartige Integration mit dem Textsatzsystem LaTeX. Org nimmt viele der Unannehmlichkeiten bei der Erstellung von TeX-Dokumenten und macht sie angenehm. Das ermöglichte mir in recht kurzer Zeit und vor allem mit sehr wenig Fummelei (die Mathematik in klassischen Präsentationsprogrammen verlangt) gute Folien zu erstellen.

Zeichnen

Was mich total überrascht hat, war wie wichtig das Zeichnen war. Egal wen man fragt, ich bin kein Künstler, ich habe nicht das geringste Talent.

Im folgenden möchte ich also nicht vom Zeichnen als Kunstform sprechen, sondern als Werkzeug der sachdienlichen Kommunikation.

Die große Stärke der Sprache ist ihr Grad an Abstraktion. Beim Zeichnen ist es genau das Gegenteil, ich kann keine Klasse von Sachen darstellen, nur eine konkrete Gegebenheit.1

Mathematik ist nun von Natur aus sehr abstrakt. Besonders da wir uns am Anfang mit Algebra beschäftigt haben, wo wir fast nur über abstrakte Operationen und Operations-Klassen reden. Oft habe ich gemerkt, wie ich versucht habe ein kompliziertes Konzept, wie z. B. Faktorgruppen zu erklären, ich aber das Gefühl hatte, das davon nicht viel bei meinen Zuhörer:innen ankommt.

Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass es oft praktisch ist einfach mal ein Beispiel an zu malen. Selbst, wenn die Darstellung so krude ist, wie meine Fähigkeiten mit dem Stift es erlauben, hilft es sehr oft Dinge, die so über den Wolken schienen, greifbar zu machen.

Der Wert des Schema F

An einer Universität und auch schon im Gymnasium, will mensch den Lernenden ganz tolle, allgemeine Fähigkeiten vermitteln, natürlich immer abwechslungsreich und auf einem hohen Anforderungsniveau.

Das ist auch genau die richtige Intention, die aber am Abstraktionsgrad der Mathematik kaputt geht.

Je mehr neue Konstrukte in der Veranstaltung eingeführt wurden, so öfter habe ich den Rat eines erfahreneren Tutors befolgt.

Ich habe die Studis, bevor sie tatsächlich interessante Mathematik machen sollten, einfach mal die mathematischen Objekte in die Hand nehmen lassen. Das ist natürlich metaphorisch gemeint. Vielleicht ist es einfach eine gute Idee einmal zwei konkrete Matrizen zu multiplizieren bevor man Eigenschaften über die Matrixmultiplikation beweist, auch wenn es langweilig ist.

Im zweiten Schritt war es oft hilfreich, die Tutorand:innen einfache Beweise nachahmen zu lassen. Das heist natürlich nicht, dass sie genau das gleiche wiederholen sollten, sondern, dass sie einen sehr ähnlichen Beweis führen sollten. Man zeigt, dass \((\mathbb{Z}, +)\) eine Gruppe ist und lässt die Studis dann zeigen, dass \((\mathbb{Q}, \cdot)\) auch eine Gruppe ist.

Meine Fehler

Natürlich ist mir der klassische Anfängerfehler unterlaufen: Manchmal habe ich die Geschwindigkeit des Tutoriums nicht gut gewählt. Besonders vor der Prüfung, wollte ich meinen Tutorand:innen möglichst viel mitgeben. Das war nicht immer gut und hat teilweise das Gegenteil bewirkt.

Ich neige dazu, ab und zu abgehoben zu wirken. Das weiß ich schon länger und arbeite aktiv dagegen.

Was ich das nächste Mal anders machen will

Ich möchte direkter auf die Studis eingehen. Dazu ist es wichtig ein Mittel der unmittelbaren Rückmeldung zu finden. Ein guter Weg wäre, mehr Studis davon zu überzeugen, ihre Webcams anzuschalten. Dann kann man sehen, ob sie zufrieden sind, ob sie verwirrt oder gelangweilt sind. Wie oben schon erwähnt könnte das aber schwierig werden.

Ich möchte zusätzliche mehr Stellen einbauen, in denen Teilnehmer:innen das Tutorium aufgefordert werden, etwas beizutragen. Das heißt mehr Fragen, mehr Lösungsvorschläge, mehr Schlaglichter und mehr Diskussionen.


1

Diagramme sind hier die Brücke. In der Software-Entwicklung werden oft die standardisierten UML-Diagramme benutzt. Diese haben dann eine klar definierte, abstrakte Definition. Es ist also mehr eine Symbolsprache. Die Kategorientheorie geht noch einen Schritt weiter. Sie macht Diagramme zu wohldefinierten mathematischen Objekten.